Hintergrund:
Hochrisiko-Frühgeborene haben eine höhere Inzidenz für kognitive Entwicklungsdefizite aufgrund des unvermeidbaren Risikofaktors der Sauerstofftoxizität. Koffein, als ein Standardmedikament bei der Behandlung von Frühgeborenenapnoe, zeigte in klinischen Studien bereits vor knapp 20 Jahren eine protektive Wirkung bei der Reduktion des Risikos, an einer Bronchopulmonalen Dysplasie (BPD) zu erkranken, und steht in einem engen Zusammenhang mit einer verbesserten neurologischen Entwicklung.1 Der kognitive Outcome ehemaliger Frühgeborener ist umgekehrt korreliert zum Gestationsalter und Geburtsgewicht.2 Eine Vielzahl exogener und endogener Faktoren, wie Medikamente, Sauerstoff und Infektionen, können die kognitive und motorische Entwicklung der Kinder einschließlich Sprachstörungen, intellektuelle Defizite, ADHS, Autismus-Spektrum-Störungen, Sehstörungen, Zerebralparese und Epilepsie3, negativ beeinflussen. Das Risiko von oxidativem Stress ist bei Frühgeborenen hoch. Durch die zu frühe Exposition des unreifen Organismus an Raumluft, der sich normalerweise intrauterin in einer hypoxischen Umgebung entwickelt, ohne antioxidative Abwehrkräfte und Hyperoxie, wird das Frühgeborene mit einer oxidativer Stressproduktion überfordert. Freie Sauerstoffradikale induzieren Schäden, die durch oxidativen Stress verursacht werden, und scheinen einer der Hauptfaktoren für die Pathogenese der meisten Komplikationen der Frühgeburten zu sein, wobei das Gehirn besonders gefährdet ist. Koffein ist ein potenter Sauerstoffradikalfänger und könnte so, durch seine anti-oxidativen Eigenschaften, die protektiven neuronalen Effekte vermitteln.
1 Schmidt B, Roberts RS, Davis P, Doyle LW, Barrington KJ, Ohlsson A, Solimano A, Tin W; Caffeine for Apnea of Prematurity Trial Group. Caffeine therapy for apnea of prematurity. N Engl J Med. 2006 May 18;354(20):2112-21. doi: 10.1056/NEJMoa054065. PMID: 16707748.
2 Thompson DK, Kelly CE, Chen J, Beare R, Alexander B, Seal ML, Lee K, Matthews LG, Anderson PJ, Doyle LW, Spittle AJ, Cheong JLY. Early life predictors of brain development at term-equivalent age in infants born across the gestational age spectrum. Neuroimage. 2019 Jan 15;185:813-824. doi: 10.1016/j.neuroimage.2018.04.031. Epub 2018 Apr 13. PMID: 29660514.
3 Malak R, Kaczmarek A, Fechner B, Samborski W, Kwiatkowski J, Komisarek O, Tuczyńska M, Tuczyńska M, Mojs E. The Importance of Follow-Up Visits for Children at Risk of Developmental Delay-A Review. Diagnostics (Basel). 2024 Aug 13;14(16):1764. doi: 10.3390/diagnostics14161764. PMID: 39202251; PMCID: PMC11354016.
Fragestellung:
In dieser Studie wurden neugeborene Ratten, die postnatal in einer vergleichbaren Phase der Gehirnentwicklung Frühgeborener im letzten Trimester der Schwangerschaft sind, in einem Sauerstoffschädigungsmodell verwendet, um die Hypothese zu testen, dass eine frühe postnatale Koffeinbehandlung die neuronale Reifung und Differenzierung während der hippocampalen Neurogenese des sich entwickelnden Gehirns schützend moduliert.
Methoden:
Neugeborene Wistar-Ratten wurden am Tag der Geburt (P0) postnatal 3 Tage (P0-P3) oder 5 Tage (P0-P5) mit 21% (Normoxie, NO) oder 80% Sauerstoff (Hyperoxie, HY) exponiert und mit Vehikel (PBS) oder Koffein (C) in einer klinisch-adaptierten Konzentration (10 mg/kg/48 h, i.p.) beginnend ab P0 behandelt. Das Großhirn der Jungtiere wurde an P3 und P5, direkt nach Beendigung der Sauerstoffexposition, oder nach Erholung unter Raumluft an P15 für anschließende Untersuchungen entnommen. Neben der Analyse der Proliferationskapazität, wurden auch Neurogenese-assoziierte Marker im Hippocampus mittels qPCR und immunhistochemischer Färbung untersucht.
Ergebnisse:
Die postnatale Exposition der neugeborenen Ratten gegenüber 80% Sauerstoff führte zu einer drastischen Reduzierung hippocampaler reifender und reifer Neurone, verbundenen mit einer beeinträchtigten Expression relevanter neuronaler Mediatoren für die Differenzierung von radialen Glia und mitotischer/postmitotischer Neurone. Oxidativer Stress beeinträchtigte zudem die Zellzyklusregulation, gezeigt durch eine inhibierende Wirkung von Sauerstoff auf die Proliferationskapazität hippocampaler Vorläuferzellen, welche auch nach Erholung an Raumluft anhielt. Die systematische Koffeinapplikation wirkte den Auswirkungen der Sauerstoffschädigung auf die neuronale Reifung im Hippocampus signifikant entgegen. Interessanterweise hemmte Koffein unter Raumluftbedingungen die Transkription neuronaler Mediatoren von reifenden und reifen Neuronen.
Exemplarisch hier für eine Sauerstoffschädigung über die ersten drei postnatalen Lebenstage (P3) und mit anschließender Erholung an Raumluft (P3_P15) gezeigt (Abb. 1), reduzierte sich die Anzahl der NeuN-positiven reifen Neurone im sauerstoffbelasteten (HY) postnatalen Hippocampus im Vergleich zu Raumluft-exponierten Jungtieren (NO) deutlich. Die Behandlung der Hyperoxie-exponierten Tiere mit Koffein (HYC) konnte die Hyperoxie-bedingte Hemmung der neuronalen Differenzierung verhindern. Die Beeinträchtigung der neuronalen Reifung durch oxidativen Stress persistierte auch nach Erholung an Raumluft und Koffein wirkte dem effektiv entgegen. Eine länger Sauerstoffexposition bis postnatal Tag 5 (P5, Daten gezeigt in Heise et al. 2023) schädigte die reifenden und reifen Neurone gleichermaßen, wobei sich die NeuN-positive Zellpopulation bis P15 erholte. Koffein wirkte hier ebenfalls protektiv.
Abbildung: Repräsentative hippocampale Hirnschnitte, immunhistochemisch gefärbt mit dem neuronalen Zellmarker NeuN und DAPI, neugeborener Ratten, die Normoxie (NO) oder Hyperoxie (HY) ausgesetzt waren, im Vergleich zu Rattenwelpen, die mit Koffein behandelt wurden (NOC, HYC). Die Untersuchungen wurden am postnatalen Tag 3 (P3) oder nach der Genesung nach 3-tägiger Exposition bei P15 durchgeführt. Immunfluoreszenzbilder zeigen NeuN (grün) und Zellkerne (blau, DAPI).
Zusammenfassung:
Eine frühe Applikation von Koffein modulierte die durch Hyperoxie induzierte reduzierte hippocampale Neurogenese und zeigte neuroprotektive Eigenschaften im Sauerstofftoxizitätsmodell der neugeborenen Ratte.
Aus dem Projekt entstandene Veröffentlichungen:
Publikation:
Heise J, Schmitz T, Bührer C, Endesfelder S. Protective Effects of Early Caffeine Administration in Hyperoxia-Induced Neurotoxicity in the Juvenile Rat. Antioxidants (Basel). 2023 Jan 28;12(2):295. doi: 10.3390/antiox12020295. PMID: 36829854; PMCID: PMC9952771.
Doktorarbeit (in Vorbereitung):
Frau Dr. med. cand. Julia Heise (voraussichtlich 2025) mit dem Titel „Einfluss von postnatalem Koffein auf das sich entwickelnde Gehirn im Hyperoxie-Schädigungsmodell der Ratte“, Charité Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Neonatologie
Vortragspräsentation:
Heise, J, Strauß, E, Bührer, C, Endesfelder, S (2021). „Protektive Effekte von Koffein bei Hyperoxie-induzierter Neurotoxizität der juvenilen Ratte.“ 47. Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin.